Leipzigs CDU-Fraktionschef: Brandmauer-Debatte hat AfD nur stärker gemacht

Was folgt aus der Kommunalwahl in Leipzig? Was war falsch, wer kann mit wem zusammenarbeiten? Michael Weickert führt mit der CDU künftig die stärkste Ratsfraktion an – und blickt im Interview voraus.

Die CDU wird in der neuen Ratsversammlung stärkste Kraft. Zugleich stellen sich die künftigen Mehrheitsverhältnisse kompliziert dar. Was wird von den Ankündigungen im Wahlkampf übrig bleiben – und mit wem wollen die Christdemokraten zusammenarbeiten? Ein Interview mit Fraktionschef Michael Weickert.

Herr Weickert, die CDU ist stärkste Fraktion im neuen Stadtrat. Ein emotionales Thema im Wahlkampf war die Verkehrspolitik. Sie hatten erklärt, das Experiment mit dem grünen Radfahrstreifen vor dem Hauptbahnhof beenden zu wollen. Sehen Sie dafür jetzt eine Chance?

Es ist nicht leichter und nicht schwieriger geworden. Wir werden sehen, wie sich der neue Stadtrat sortiert und wie sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zum Thema Verkehr verhält.

Ist es für Sie denkbar, an dieser Stelle auch mit der AfD eine Mehrheit zu finden?

Natürlich. Wir haben gerade als stärkste Fraktion die Verantwortung, Angebote zu machen und Mehrheiten zu finden. Diese ganzen Brandmauer-Diskussionen haben die AfD nur stärker gemacht.

Die Brandmauer muss weg?

Ich würde diesen Begriff gar nicht mehr verwenden. Generell wäre es vielleicht einen Versuch wert, wenn wir mal weniger über die AfD reden würden und weniger über die AfD in der Zeitung stehen würde. Eins ist auch klar: Die Hand-in-Hand-Demo am Samstag war noch einmal eine Beatmungshilfe für die AfD in Leipzig, und das hat der Oberbürgermeister ganz persönlich zu verantworten. Das hat nur dazu beigetragen, bestimmte Leute in ihrer Wahlentscheidung zu bestärken. Die AfD war gebeutelt von Skandalen, und hier wurde versucht, den Leuten vorzugeben, was rechts ist und was nicht – vom üblichen linksradikalen Demo-Klientel.

Es waren ja nicht nur Linksextreme dort, sondern auch normale Bürger und sogar große Unternehmen.

Das ist richtig. Wir leben in einem freien Land. Es hat nur nichts gebracht, die AfD ist stärker geworden. Wir als CDU haben die richtige Entscheidung getroffen, uns nicht in eine Reihe mit der Antifa zu stellen.

Werden die Grünen im neuen Stadtrat für Sie ein wichtigerer Partner?

Die Grünen haben Teile der Fraktion verloren und müssen sich erst mal ein wenig selber finden. Aber selbstverständlich werden wir auch mit den Grünen sprechen.

Es gibt nun einige Stadträte kleiner Parteien, die erst mal fraktionslos dastehen. Werden Sie versuchen, die in Ihre Fraktion zu holen?

Natürlich werden wir Gespräche führen. Allerdings nicht mit den Freien Sachsen. Mit „Die Partei“ auch nicht, wobei letztere eine Zusammenarbeit – wie auch wir – ohnehin nicht will.

Was bedeutet die Stadtratswahl mit Blick auf die kommende Oberbürgermeisterwahl?

Es ist gut, dass die Amtszeit von Oberbürgermeister Burkhard Jung zu Ende geht.

Zur Person
Michael Weickert ist seit 2014 Mitglied der Ratsversammlung und seit September 2023 CDU-Fraktionsvorsitzender. Der 34-Jährige arbeitet als Referent und ist Vater einer Tochter.


Björn Meine 10.06.2024

7 Sitze im Stadtrat Leipzig: Fast zehn Prozent der Wähler stimmen für die „sonstigen Parteien“ – wer steckt dahinter?

Die kleinen Gruppen werden im neuen Stadtrat eine Rolle spielen, auch wenn sie oft keine eigenen Fraktionen bilden können. Wer aber sind diese kleinen Parteien eigentlich?

Zusammengenommen repräsentieren sie eine durchaus relevante Wählergruppe: Die sonstigen Parteien kommen bei der Leipziger Kommunalwahl auf insgesamt fast zehn Prozent der Stimmen. Nicht alle schafften den Sprung in die neue Ratsversammlung – einige aber schon. Ein Blick ins Spektrum der kleinen Parteien.

Zu ihnen zählt die Satire-Gruppierung „Die Partei“ (3,5 Prozent), die zwei Sitze erhält. Vor allem aber fällt eine alte Bekannte auf, die mit 2,7 Prozent aber zu wenig Stimmen hat, um im Online-Auftritt der Stadt zu den Ergebnissen vom Sonntag weiter gesondert aufgeführt zu werden: die FDP. Mit zwei Sitzen zieht sie in den Stadtrat ein (vorher drei).

Die Liberalen bilden bislang mit den Piraten eine Fraktion – das ist so nicht mehr möglich, obwohl die Piraten (1,1 Prozent) ihren einen Sitz behalten. Denkbar wäre, dass nun zusammen mit dem weiteren Sitz der „Freien Wähler“ (1,1 Prozent) eine Fraktion zustande kommt, die mindestens vier Köpfe zählen muss. Die „Freien Wähler“, die in den Landkreisen des Freistaats eine größere Rolle spielen als in Leipzig, werden aber möglicherweise auch von größeren Fraktionen umworben.

Ebenfalls zu den sonstigen Parteien zählen die „Freien Sachsen“, die ebenfalls mit einem Sitz in der neuen Ratsversammlung vertreten sein werden. Laut dem sächsischen Verfassungsschutz sind sie fester Bestandteil der rechtsextremistischen Szene im Freistaat.

Einen Achtungserfolg kann die neue Partei „Volt“ verbuchen – ihre 0,3 Prozent reichen aber nicht zum Einzug in den Stadtrat. Volt ist eine explizit pro-europäische Partei, die liberale, grüne sowie soziale Themen und Forderungen vereint.


Dominic Welters 14.06.2024

Leipziger FDP-Stadtrat Morlok will die Freibeuter-Fraktion retten

Sven Morlok und die Leipziger Liberalen haben ihr Ziel bei der Stadtratswahl 2024 verfehlt. Jetzt arbeiten sie daran, weiter Teil einer Fraktion zu sein. Dazu brauchen sie neue Partner. Es zeichnet sich eine interessante Konstellation ab.

Es ist ein bisschen so wie bei „Je t’aime – Wer mit wem?“. Der einstigen MDR-Fernsehsendung, bei der Singles auf Partnersuche gingen und im optimalen Fall den Lieblingsmenschen fürs Leben fanden. Um Herzensangelegenheiten geht es dieser Tage im Leipziger Neuen Rathaus zwar nicht, aber um Zweckbündnisse. Diese müssen nicht lebenslang halten, doch über fünf Jahre sollten sie schon gehen. Denn dann endet im Stadtrat eine Wahlperiode.

Wer da gerade im Begriff ist, sich anzunähern, sind die sogenannten Kleinen. Die kleinen Parteien, die beim Urnengang am 9. Juni weit weniger als fünf Prozent der Stimmen erhielten und es lediglich auf ein Mandat, maximal auf zwei Sitze bringen werden, wenn sich im September die neue Ratsversammlung konstituiert.

Freibeuter existieren seit 2017

Abgesehen von den rechtsextremen „Freien Sachsen“ (ein Sitz), die im Verborgenen agieren, operieren FDP (zwei Sitze), Die Partei (zwei Sitze), Piraten (ein Sitz) und Freie Wähler (ein Sitz) im Lichte der Öffentlichkeit. Und sie sind gerade mehr als gewillt, sich gegenseitig besser kennenzulernen. Denn alle eint das Schicksal, allein oder zu zweit im künftigen Stadtrat nicht viel ausrichten zu können.

Gegenüber der LVZ wird ein Mann deutlich, der Erfahrung hat im Politik-Geschäft. Auf Kommunal- und auf Landesebene. Sven Morlok will auch im neuen Leipziger Rat einer Fraktion angehören. Bislang ist der FDP-Mann Vorsitzender der Freibeuter. Diese parlamentarische Vereinigung, im Frühjahr 2017 aus der Taufe gehoben, besteht noch bis August aus drei Liberalen – neben Morlok sind das Klaus-Peter Reinhold und Sascha Matzke – sowie Piratin Ute Elisabeth Gabelmann.

Liberale bringen es nur auf zwei Mandate

Nun haben die Freidemokraten am vergangenen Sonntag ihr erklärtes Wahlziel, es aus eigener Kraft auf Fraktionsstärke – also auf vier Mandate – zu bringen, verpasst. Statt einen Sitz hinzuzugewinnen, haben sie einen verloren. Nur Morlok und Reinhold wurden wiedergewählt. Das macht die Sache kompliziert.

Doch Morlok hat klare Vorstellungen. „Wir wollen die Freibeuter-Fraktion erhalten“, sagt der frühere sächsische Wirtschaftsminister und stellvertretende Ministerpräsident (2004–2014). Die Vorteile liegen auf der Hand: Wer als Stadträtin oder Stadtrat einer Fraktion angehört, kann Mitglied eines Ausschusses werden und hat die Möglichkeit, Anträge zu stellen. „Mit anderen Worten: Nur so lässt sich Politik machen“, betont Morlok.

Einen Sitz bräuchte es noch

Noch-Freibeuterin Gabelmann, wie Matzke im neuen Plenum nicht mehr vertreten, sieht das ebenso. „Klar wäre es gut, wenn unser neuer Piraten-Stadtrat Jan-Paul Helbig einer Fraktion angehört. Doch erst mal müssen wir reden. Das tun wir gerade – innerparteilich und mit anderen“, sagt sie.

„Sondierungsgespräche“ lautet die Vokabel, die sowohl Morlok als auch Gabelmann verwenden. FDP und Piraten, im verflixten siebten Jahr mehr oder weniger harmonisch Seit’ an Seit’ unterwegs, bringen es zusammen allerdings nur noch auf drei Mandate. Es braucht also noch einen Sitz, um die Freibeuter-Fraktion zu retten. Morlok nennt den auserwählten weiteren Partner unumwunden: „Die Wählervereinigung Leipzig.“ Kurzform: Freie Wähler.

Freie Wähler pochen auf Augenhöhe

Deren Vorstandsmitglied Matthias Binner bestätigt erste Gespräche – jedoch nicht nur in eine Richtung. „Die Kontaktaufnahme anderer Parteien mit uns ist relativ zeitnah nach der Wahl erfolgt. Aktuell sind wir mit unserem künftigen Stadtrat Stefan Rieger, dem Vorstand und unseren Mitgliedern im engen Austausch und denken über mögliche Konstellationen nach“, sagt Binner.

Aus vielerlei Gründen mache es Sinn, sich als Einzelkandidat einer Fraktion anzuschließen. „Dabei spielen für uns vor allem die gemeinsamen Ziele und der Umgang auf Augenhöhe eine wichtige Rolle“, bekräftigt er.

Neu-Stadtrat Rieger legt beispielsweise Wert darauf, „dass Stadtpolitik mit Intelligenz und nicht mit Größenwahn betrieben wird“. Der 54-jährige Elektroingenieur fragt sich, „ob ein ideologisches Projekt wie das neue wasserstoffkompatible Gaskraftwerk jemals zu unserem Nutzen sein wird“ und ärgert sich über die vielen zentrumsnahen kleinen Lücken, „die gnadenlos zugebaut und zubetoniert werden“.

Die Sorgen der Freien Wähler um die kommunale Infrastruktur und die persönliche Lebensqualität eines jeden Leipzigers müssten von den potenziellen Partnern mitgetragen werden, so Rieger.

Sprach Kumbernuss mit Morlok?

Binner erinnert ferner daran, dass die Freien Wähler schon immer gesagt hätten, „dass wir vor Wahlen mit niemandem und danach mit allen reden. Wir sind höflich genug zuzuhören, wenn wir eingeladen werden“. Gerade auf kommunaler Ebene sei es wichtig, „für die Bürger zu entscheiden und nicht Partei-Interessen in den Vordergrund zu stellen“.

Ein höflicher Mensch ist auch FDP-Stadtrat Morlok. Gerade hat er ein weiteres Sondierungsgespräch geführt. Auf Wunsch eines Vertreters einer Partei, die sich der Satire verschrieben hat. Thomas Kumbernuss von Die Partei mag den Gedankenaustausch mit Morlok gegenüber der LVZ weder bestätigen noch dementieren. „Was ich denke, ist vielleicht nicht das, was Die Partei denkt“, räumt jener Mann ein, der im jetzigen Stadtrat einer von zwei fraktionslosen Einzelkämpfern ist.

Morlok würde im Juli gern klarsehen

Bahnt sich da ein Freibeuter-Bündnis an, das künftig statt aus vier gar aus sechs Stadträtinnen und Stadträten besteht? Sollten auch noch die Satiriker mitmischen, brächte Kumbernuss Parteifreundin Katharina Subat mit. Der Liberale Morlok hat sich festgelegt: „Wir als FDP werden von den größeren Parteien auch angesprochen. Aber für uns hat die eigene Fraktion Priorität.“ Im Juli würde er gern wissen „wer mit wem“.